Unerwartet ist die Petition gegen die Internet-Zensur erfolgreicher als jede bisher dagewesene Petition in der Bundesrepublik Deutschland. Binnen 4 Tagen wurde die erforderliche Stimmenzahl von 50.000 Zeichnern erreicht. Nach 9 Tagen sind es bereits über 80.000 Zeichner. Mit einem solchen Echo aus dem vermutlich wichtigsten Medium des 21. Jahrhunderts hatte die Bundesregierung offensichtlich nicht gerechnet. Das zeigen auch die weiteren Strategien der Schadensbegrenzung der Bundesregierung: in einer Presseerklärung warf der Wirtschaftsminister zu Guttenberg den Petenten vor, sich “gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten (zu) sträuben”.
Die Gegner der Internet-Sperren jedoch lassen sich – wie es scheint – davon nicht beeindrucken. Sie schlagen stattdessen zurück. Seit einigen Tagen erfreut sich Dokumentationen der öffentlich rechtlichen Fernsehsender über die Biographie des umstrittenen Wirtschaftsministers im Internet großer Nachfrage (Link1, Link2). Unter normalen Umständen hätte es noch Jahre gedauert, bis diese Fakten sich herumgesprochen hätten. Nun aber hat sich die Bundesregierung mit denen angelegt, die wissen, wie Informationen gefunden werden und wie sie verbreitet werden.
Auch der zaghafte Versuch des Direktors des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam, Prof. Christoph Meinel, der über Internettechnologien forscht, wurde von den Gegnern der Internet-Zensur zum Anlass genommen, ihn genauer zu durchleuchten. Herauskam, dass Prof. Meinel über Software zum kollaborativen Filtern von Internetinhalten arbeitet. Für die Gegner der Internet-Sperren gilt Prof. Meinel mit solchen Gemengelagen von Interessenüberschneidungen als kontaminiert und als Vermittler nicht mehr einsetzbar.
So verhärten sich nun die Positionen immer weiter. Zuletzt schaltete sich die DEUTSCHE KINDERHILFE e.V. in die Debatte ein. Sie startet nun eine eigene Petition für den Gesetzesvorschlag der Bundesregierung. Die Recherchen der Sperr-Gegner ergaben auch in diesem Fall Unheilvolles. Dass die Petition der KINDERHILFE mit viel Geld in Fußballstadien der Republik in den nächsten Wochen vorangetrieben werden soll, erregt bei den Sperr-Gegnern noch keinen. Eher die Artikel der Tageszeitung DIE WELT, in denen die Nähe der KINDERHILFE zur Politik – genauer zu Frau Ulla Schmidt und Ursula von der Leyen – , die Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung von Spenden, die zum Ausschluss aus dem deutschen Spendenrat führten und die fragwürdigen Geschäftspraktiken der KINDERHILFE durchleuchtet werden, erregen die Gemüter. Das kurzfristige Entfernen kritischer Inhalte vor drei Tagen auf dem Wikipedia Artikel über die KINDERHILFE erscheint vielen Aktivisten nicht als zeitliche Koinzidenz.
Dass das Thema Internet-Zensur bzw. Kinderporno-Sperren schon längst raus aus der Nische ist, zeigen Artikel, die sich in der Wochenzeitung DIE ZEIT finden. Hier werden die Fehler der Argumente der Bundesregierung genau dargelegt. Der Artikel titelt “Von der Leyens unseriöse Argumentationen”. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, als hätte sich die Bundesregierung mit dem Thema “Internet-Sperren” verhoben und im Eifer des Populismus unterschätzt, dass das technische Know-How bei der Internet-Generation höher ist als bei der Bundesregierung selbst.
Nach der ZEIT berichtet nun auch das HANDELSBLATT über die neusten Strategien im Kampf gegen Kinderpornographie. So werden sich diverse Verbände am heutigen Freitag pro Internet-Sperren aussprechen. Der Generalverdacht der Sperr-Gegner besteht schon jetzt: alles “Marionetten“.
[UPDATE] Mai 27, 2009: Es wurde bestätigt, dass die Internetseite der fragwürdigen DEUTSCHEN KINDERHILFE e.V. (siehe oben) momentan nicht erreichbar ist, weil sie gestern – offensichtlich von Sympathisanten unter den Sperr-Gegnern – mittels Defacement gehackt wurden. Die Server der KINDERHILFE wurden in der Zwischenzeit vom Netz genommen und sind nicht erreichbar. Bilder des Defacements kursieren jedoch in vielen Blogs. Von der Mehrheit der Sperr-Gegner wird dieser Schritt eines Einzelnen Hackers derweil scharf kritisiert (Link1, Link2) und als kontraproduktiv bewertet, da die Sperr-Gegner befürchten, von der Bundesregierung leichter in die kriminelle Ecke gerückt zu werden.